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Moskau - Jekaterinburg

200228

Die erste Nacht in der Transsibirischen Eisenbahn. Nachmittags um halb vier geht es los. Wir vertrödeln die Zeit bis dahin am Platz mit den drei Bahnhöfen. Am Eingang zum Zug werden die Pässe kontrolliert. Die Nummer auf dem Ticket muss mit der im Pass übereinstimmen. Was bei mir nicht der Fall ist. Hat wohl meine Dyskalkulie wieder einmal zugeschlagen. Wir werden trotzdem rein gelassen. Die Sprache nicht zu können hat auch Vorteile. Jetzt haben wir nicht mehr unser eigenes Abteil. Sondern sind in einem Wagen mit neun mal sechs Betten. Je vier rechts und zwei links. Sich für die Zweier-Variante zu entscheiden war keine gute Idee. Hier ist das untere Bett gleichzeitig die Sitzgelegenheit. Das Tischchen ist der mittlere Teil des Bettes und die Sitze sind die äusseren Teile. Im Vierer-Abteil gegenüber ist eine junge Frau mit ihrem kleinen Sohn und der Grossmutter. Bei ihnen gibt es zum Abendessen KFC-Pouletflügeli und Pepsi. Der Junge ist danach entsprechend aufgedreht.
In der Nacht ist es ruhig. Kein Wodka-Saufgelage. Trinken ist in der dritten Klasse der Transsib verboten. Ich kann trotzdem lange nicht schlafen und als ich am Morgen aufwache sind da wo gestern die Frau mit dem Kind waren drei junge Männer. Die Leute liegen auf ihren Pritschen. Es wird gelesen und gestrickt und auf Handys gedrückt. Gegessen wird selten. Und wenn dann meist Instant-Nudelsuppe
Über Nacht sind wir im Winter angekommen. Ich lese Warlam Schalamow. "Durch den Schnee. Erzählungen aus Kolyma I." In Die Krawatte schreibt er: "Früher wie heute muss der Schriftsteller, wenn er Erfolg haben will, so etwas wie ein Ausländer sein in dem Land, von dem er schreibt. Er muss vom Standpunkt der Menschen - ihrer Interesse, ihres Horizonts - schreiben, unter denen er aufwuchs und seine Gewohnheiten, seinen Geschmack, seine Ansichten erwarb. Der Schriftsteller schreibt in der Sprache jener, in deren Namen er spricht. Und nicht mehr. Wenn aber der Schriftsteller das Material zu gut kennt, verstehen ihn jene nicht, für die er schreibt. Der Schriftsteller hat sie verraten, hat sich auf die Seite seines Materials geschlagen."
An der Zeitzonengrenze stellt die Zugbegleiterin die Uhr am Ende des Korridors zwei Stunden vor.




Фото: Yuri










Фото: Yuri










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